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Rebekka Vollenweider

Mystiker des 17. Jahrhundert geben klare Anweisungen

Mystik (Foto: Rebekka Vollenweider)

Nach der Reformation machten sich immer wieder Leute über sie Gedanken und waren oft endtäuscht, weil die Reformation doch nicht alle notwendigen und erhofften Veränderungen erfüllte. Sie bildeten ihre eigenen Ansichten vom christlichen Glauben, hatten aber grosse Mühe, dass die theologisch gebildeten Christen ihre Sicht verstanden.  
Rebekka Vollenweider,

Johann Arndt (1555-1621) wurde als Sohn eines Pfarrers geboren. Bei einer schweren Krankheit gelobte er, nach seiner Genesung eine geistliche Laufbahn einzuschlagen. Kurz nachdem er sein Gelübde in die Tat umgesetzt hatte, fiel er in Basel in den reissenden Rhein und wurde ein zweites Mal dem Tode entrissen, was sein Leben nachhaltig prägte. Von mythischer Kraft getrieben, schrieb er sein Werk „Vier Bücher vom wahren Christentum“. Dabei behandelte er den Unterschied zwischen den gelehrten Christen und den Heiligen. Er stellte fest, dass der Gelehrte die Dinge buchstäblich von aussen betrachtet, während der Mystiker sie von innen erfasst. Er erkannte die Gefahr des endlosen Diskutierens. Arndt war sich sicher, dass Jesus lieben etwas ganz anderes bedeutete, als über ihn lange zu diskutieren. Jesus Aufforderung an seine Jünger, ihm nachzufolgen, wird leider heute immer weniger befolgt, obwohl dies wahren Frieden und Seligkeit bedeutet. Deshalb forderte Arndt seine Anhänger stets zum innigen Gebet auf, denn nur wer Reue zeigt und Leid erträgt, kann selig werden.

Als einer der bedeutendsten protestantischen Mystiker gilt Jakob Böhme (1575-1624). Wer ihn sah, glaubt nicht, dass mit dem unscheinbaren, ungeschulten, kleinen Schuster einer der grössten Männer der evangelischen Christenheit vor ihm stand. Böhme schöpfte aus der Feststellung, dass die Gestalten der Bibel meistens ungebildete Fischer oder einfältige Leute waren, die Jesus beeindruckte, Mut und Trost für seine schwere Aufgabe. Fleissig las er die Bücher seiner Vorgänger und kam zum Schluss, dass er sein eigenes, inneres Buch lesen lernen musste. Nur so konnte er den Weg finden, der ihn zum Herrn führte, den er auf keinen Fall mehr loslassen wollte. Er erkannte in der Zentralschau vor allem, dass Gottes Schöpfungskraft in den Tieren, Pflanzen und allen Dingen noch heute wirkt. Böhme vertrat die Meinung, dass der Mensch in einer äusseren und einer inneren Welt lebt. Die äussere Welt und der äussere Mensch müssen schlussendlich zerbrechen. Bis es soweit ist, leben wir in Unvollkommenheit und Streit, wie die Ewigkeit mit der Zeit im Streit liegt. Dieser Zwiespalt in allen Dingen ist nach Ansicht Böhmes die Heimkehr und das Eins Werden des Menschen mit Gott, oder die Rückkehr ins Paradies.

Der junge Angelus Silesius (1624-1677) studierte in Holland und Padua Medizin. Früh interessierte sich der gebürtige Schlesier für religiöse Themen und wollte den Himmel am liebsten im Sturmschritt erobern. Wieder zurück in die alte Heimat, lernte er den Biographen von Böhme, Frankenberg, kennen, der ihm die bekannten Mystiker näherbrachte. Für Silesius ein Glücksfall und entscheidender Wendepunkt in seinem Leben, der ihm den Weg zur Wahrheit und heimlicher Weisheit zeigte. Fortan war sei Lebensmotto: „Der Himmel ist in dir“! Seine Bücher drehten sich stets um das gleiche Thema: nämlich, dass der wahre Frieden und der Sinn des Lebens sich im auf Gott ausgerichteten Menschen befinden. Sein Erkennungszeichen war das Schweigen im Gegensatz zum geschwätzigen Menschen, dem Unterhaltung alles bedeutet.

Eine ganz spezielle Mystik vertrat Johann Georg Gichtel (1638-1710). Schon als Kind war es sein grösster Wunsch, Gott zu sehen und mit ihm persönlich zu sprechen. Das Theologiestudium brach er ab, weil er sich der Meinung der Professoren nicht anschliessen konnte und sie mit den Pharisäern gleichsetzte. Ein schriftlicher Vorschlag für eine christliche Erneuerung, brachte ihn in den Kerker und in schwere Depression bis zum Selbstmordversuch. In dieser dunklen Stunde erlebte er in einer Erscheinung, wie Christus in seinem Herzen Wohnsitz nahm. Nach dem Kerker wurde er der Stadt verwiesen und eine mühselige Pilgerreise folgte. Als Gichtel um die Weihnachtszeit tief versunken betete, erschien ihm die himmlische Jungfrau Sophia. Sie versprach ihm Treue in Not, Armut, Elend und Tod. Für ihn war diese geistige Hochzeit ein Wende- und Höhepunkt in seinem Leben. Er vertiefte in die himmlischen Sophia, die Weisheit. Sie ist das weibliche Element in der protestantischen Mystik, ähnlich wie Maria als Mutter Gottes bei den Katholiken verehrt wird. Der Mystiker kam mit der Sophia immer wieder in Kontakt und verstand ihre Sprache wie seine Muttersprache, obwohl sie mit einer weltlichen Sprache nichts gemein hatte. Sophia war für Gichtel ein Spiegel Gottes. Sophia war für ihn eine plastische Person von unerhörter Realität, die ihn auf seinem Lebensweg fortan begleitete, küsste und umarmte. Gichtel war sich im Klaren, dass seine Mystik nur von jenen Menschen verstanden werden konnte, die selbst das göttliche Schauen begriffen hatten, also jene, die nur noch mit dem Herzen und nicht mit dem Verstand die Dinge erfassten.

Mit 19 Jahren erlebte Georg Fox (1624-1691) wie fromme Menschen nach reichlichem Alkoholgenuss wirres Zeug redeten und sich entsprechend aufführten. Dieses Erlebnis war der Startschuss für eine Wanderschaft, die ihm viel Leid und Kummer bereitete. Er entwickelte eine tiefe Abneigung gegen die „Frommen“ und erlebte ähnliche Situationen wie Jesus mit den gesetztestreuen, aber eitlen und überheblichen Pharisäern. Fox begriff, dass das Tiefste der religiösen Wahrheit nicht in einer renommierten Universität vermittelt wird, sondern, dass auch ein einfacher Schuster wie er, es direkt von Gott erfahren darf, denn ihr Verständnis ist unmittelbar an ihre Verwirklichung gebunden. So stand für ihn bei der Auslegung der Bibel der Heilige Geist über dem geschriebenen Wort, wenn sie lebendig bleiben sollte. Diese Erleuchtung kam plötzlich mit erregenden Zuckungen über den nachdenkenden Fox. Leider werden derartige, machtvolle Erscheinungen wie sie auch bei Heiligen bekannt sind, von der evangelischen Kirche kaum beachtet. Fox landete wegen seinen Aussagen auch nicht weniger als achtmal im Gefängnis, bis er zu den Gründervätern der Quäkergemeinschaft gehörte, die noch heute vor allem in den USA, aktiv ist.
Bereitgestellt: 16.08.2023     Besuche: 18 Monat